Im Kloster 27. Mai 2012 (Bericht aus Würzburg)

Es begann mit einer Mail aus Frankfurt

Ob wir nicht Lust hätten, mit einer Gruppe von geistig und körperlich Behinderten und ihren Verwandten auf einem ‘integrativen Familienwochenende’ zusammen Sacred Harp zu singen. Im Moment sind 55 Personen zu diesem Wochenende angemeldet, davon ca. 20 Personen mit Behinderung, die anderen sind Familienangehörige und Betreuer.

Tatort: Die Abtei Münsterschwarzach bei Würzburg, 500 Kilometer von unserem Heimatort Bremen entfernt. Insgesamt zehn Stunden Fahrt, um mit Unbekannten ein paar Lieder zu singen. Macht man so etwas Verrücktes?

Natürlich! Das Auto wurde voll. Zweimal Alto, einmal Treble, ein Bass; das versprach Spaß für unterwegs. Der Tenor, der in der Abtei für die vierte Stimme sorgen würde, kam aus Frankfurt, er hatte die Mail geschrieben.

Samstag, 26. Mai 2012

Übernachten wollten wir im Zelt. Auf dem Campingplatz des Grauens, wie sich herausstellte. Wohnmobile dicht an dicht, Gartenzwerge, Plastik-Rehe. “Wenn wir hier singen, haben wir die deutsche Sektion des Ku Klux Klan am Hals.” Also Wein und Bücher eingepackt und ab zum Kloster.

Dort empfing uns Bruder Paulus sehr herzlich, und nach dem Abendessen ging es los. Den “Square” aufbauen, natürlich. Und dann? Wie erklärt man Menschen Sacred Harp, die noch nie davon gehört haben, aber mitsingen sollen? “Am besten, wir machen das mal eben vor.”

Na gut. “274t The Golden Harp”*. Der Effekt war der erwartete – viele erschrockene Gesichter. Bei einigen wandelte sich der Ausdruck bald in ein Grinsen. Nach ein paar dürren Worten über Sacred Harp, über die Shapes (und wie sie funktionieren) wandten wir uns “159 Wondrous Love” zu, gingen es Stimme für Stimme durch. Dann der große Moment. Alle zusammen. Naja… fast alle. Sagen wir, ein paar. Aber das Lied hat vier Strophen, in jeder gesellten sich Stimmen hinzu. Und niemand flüchtete, obwohl wir die Türen nicht verriegelt hatten.

Am Ende des Abends hatten wir drei Lieder “drauf”. Und danach, im Klostergarten, Spaß mit Mönchen. Scheinen ein unterhaltsamer Menschenschlag zu sein.

Sonntag, 27. Mai 2012

Eklig früh aufstehen. Zelte abbauen. Kloster. Gottesdienst. Aber was für einer! Weihrauch, Prozession, gregorianischer Gesang. Auf der Bühne… äh… dem Chor war ständig was los, eine wirklich eindrucksvolle Show. Währenddessen durften wir Leibesübungen machen, aufstehen, hinsetzen, hinknien, aufstehen. Dennoch wurde uns die Zeit ein wenig lang, denn eigentlich wollten wir selbst singen. Allerdings nicht so brav und ordentlich wie die Brüder da oben.

Und wir bekamen sie, unsere halbe Stunde in der Klosterkirche.

Nachmittags ging es zum Käppele nach Würzburg. Von wegen “Kapellchen” – eine veritable Barock-Kirche ist das, mit wundervollem Blick auf die Stadt. Dort sollten wir im Rahmen eines weiteren Gottesdienstes, den Bruder Paulus hielt, ein paar Lieder singen. Ob wir Angst hatten? Natürlich! Die Kirche war schon halb gefüllt, als wir unseren Soundcheck machten, und die Gesichter der Gemeinde wirkten danach doch einigermaßen konsterniert.

Wir beschlossen, während des Gottesdienstes etwas “zahmer” zu singen, um die armen Menschen nicht völlig zu vergraulen (For the international community: Yeah, it’s not Sacred Harp, but we had to show some mercy for the poor Franconians). Danach sangen wir noch zwei Lieder, zusammen mit der Crew des Vorabends und – Bruder Paulus. Wir meinen, ihn herauszuhören. Katholische Kirche und Sacred Harp? Wir sind gespannt, wer wen konvertiert.

*(Sie können die Hymnen hier hören – vielen Dank an Harald Grundner)

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Yankee shapenote singer in Germany trying to form a local group.
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