Bericht aus Frankfurt: Guest Blogger Reports from Frankfurt

This essay is from a German guest blogger who is very new to shapenote singing. In the following paragraphs she shares her impressions of the Sacred Harp Singing Workshop in Frankfurt am Main last October. Okay, I confess the guest blogger is my wife, but I didn’t make her do this. It was her idea (honest!) and she thought that writing about her experiences at the workshop might be informative for German readers who ar unfamiliar with Sacred Harp singing. I’ve included a demo of Easter Anthem (SH 236) from the workshop. For readers of English, a translation will follow some time this week.

Überlebensbericht einer mitgeschleppten Ehefrau

Ok, denke ich, aus Liebe macht man die seltsamsten Sachen, aber Singen? Ich?? Und noch dazu in einer Gruppe von fremden Menschen und dann auch noch Hymnen, wo ich doch, wenn überhaupt, nur aus kulturellem Interesse eine Kirche betrete? Ich seufze still in mich hinein und werfe einen unsicheren Blick auf meine bessere – und weitaus sangesbegabtere Hälfte. In seinen Augen glüht eine Vorfreude und Leidenschaft, die ich sonst nur ansatzweise sehe, wenn ich ihm einen frischgebackenen Pumpkin Pie vorsetze. Ich schlucke tief und erinnere mich an all die Momente, in denen meine Mutter instinktiv das Radio lauter stellte, sobald ich anfing, bei einem Lied mitzusingen.

Also, grübele ich weiter, wie schlimm kann es schon werden? Aus den Videos, die Schatz mir gezeigt hat, weiß ich, dass Shape Note Singer mit einer solchen Hingabe und Lautstärke singen, dass bestimmt keinem auffällt, wenn ich einfach nur die Lippen bewege. Fake it till you make it. Und wenn ich den Tag überstanden habe, muss Schatz mit mir als Ausgleich den Tangokurs belegen, den er mir schon seit Jahren verweigert. Wenn ich mich hier schon für ihn zum Deppen mache, dann kann er auch mal die angeblich so taktlosen Hüften für mich schwingen, oder?

Wie auch immer. Wir sind da. Ein unscheinbares Gemeindehaus in der Vorstadt. Schon beim Eintreten höre ich fröhliche englische Stimmen und der beruhigende Duft von frischgebrühtem Kaffee und Kuchen steigt mir in die Nase. Schatz strahlt wie ein Honigkuchenpferd. Dann betreten wir einen Saal voller Honigkuchenpferde. Zwei freundliche Menschen kommen auf uns zu und begrüßen uns herzlich. Wir bekommen ein Hymnenbuch in die Hand gedrückt und dürfen unsere mitgebrachten Wasserflaschen in einer Ecke des Raumes parken.

Jetzt geht es los. Einige der Anwesenden erheben sich aus den Sitzreihen und gehen in die Mitte des Raumes. Schatz schubbelt erwartungsvoll auf seinem Sitz hin und her. Was man liebt, muss man ziehen lassen – also wispere ich ihm ein „Go and join `em“ zu. Schwupps, ist er weg.

Und dann fegt ohne jede Vorwarnung ein Orkan über mich hinweg. Die Klänge von Bässen, Sopranen, Alti und Tenören brechen wie eine Naturgewalt über mich ein. Ich erschaure. Die kleinen Härchen auf meinen Armen und in meinem Nacken stellen sich steil auf, mein Herz setzt einen Schlag lang aus und mein gesamtes Innenleben vibriert. Mir ist schlagartig klar, dass sich genau in diesem Moment entscheidet, ob ich schreiend die Flucht ergreifen werde oder ob sich mein Leben soeben um eine höchst faszinierende Option erweitert hat. Ich bleibe und lasse mich von dem Strudel von Emotionen, die den Raum erfüllen mitreißen. Ich begreife, warum das hier für viele Menschen auch eine religiöse Erfahrung ist – aber es überschreitet die Grenzen von Konfessionen. Das hier ist pure Lebensfreude und Hingabe und wer keine Angst vor tiefen Gefühlen hat, der kann gar nicht anders, als mitsingen zu müssen. Let´s face it – das hier ist nix für Warmduscher. Das hier ist – zumindest für die kleine deutsche mitgeschleppte Ehefrau – Hard Rock vom Feinsten.

Dann tritt plötzlich Stille ein und ein extra angereister Profi-Shape Note Singer aus den Staaten vor uns. Er erklärt den Newbies unter uns – eine Handvoll noch recht verschüchterter Deutscher – die Basics von Shape Note Singing. Ich lerne dass das kleine Dreieck, dass mich an eine steile AbFAhrt erinnert, ein Fa ist. Und dass das runde Ding, dass wie kleine Sonne – spanisch el Sol – aussieht, Sol heißt. Dass das kleine Quadrat ein La ist, werde ich mir wohl ohne Hilfe merken können. Und für die Raute, die wie ein Diamant ausschaut, gibt der Lehrer eine prima Eselsbrücke: Diamonds are for Mi!

Dann üben wir unsere Fa Sol La Mi´s rauf und runter. Die nette Engländerin, die neben mir sitzt, erklärt mir, dass ich wohl ein Tenor sei – soweit sie meine Stimme bisher gehört habe. Und sie zeigt mir auch gleich, welche Notenlinie meine ist. Wow, das ist ja gar keine Raketenwissenschaft. Das macht Spaß. Und die ersten Hymnen klappen gleich ganz gut. Irgendwie merke ich gar nicht, dass mein zuerst zitterndes Stimmchen mit jedem Lied selbstbewusster und stärker wird. Irgendwann realisiere ich, dass ich lauthals mitsinge – und keiner guckt mich komisch an, rückt von mir ab oder stellt das Radio an. Im Gegenteil, ich werde ermutigt und gelobt und fühle mich wie unter guten Freunden.

Als Höhepunkt des Tages soll ich schließlich mit dem geliebten Ehegatten in die Mitte treten. Er darf nun die Gruppe leiten und stimmt seine Lieblingshymme an. Und dann kommt der Klang von allen Seiten. Die Bässe, Tenöre, Soprane und Alti stimmen ein und alles um mich herum wird alles zu Musik. Wow, that´s it. That´s the real thing. Und ich bin dabei – und singe voller Inbrunst.

Heute ist aus mir eine echte Shape Note Sängerin geworden. Und beim nächsten Mal nehme ich Schatz auf jeden Fall auch gerne wieder mit!

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About bochumshapenotesinger

Yankee shapenote singer in Germany trying to form a local group.
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3 Responses to Bericht aus Frankfurt: Guest Blogger Reports from Frankfurt

  1. Andreas says:

    Sehr schöner Bericht! Ich war auch in Frankfurt dabei und ich meine wir haben uns auch kurz unterhalten. Ich wünsche Euch alles Gute bei der Mitsängersuche. Per E-Mail kann ich auch gerne mal berichten, wie es in Frankfurt mit dem Gesinge weiter gegangen ist…

  2. This is fascinating!! Thanks for sharing 🙂

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